Das neue Jahr hat begonnen und damit ist die Zeit gekommen, einen Blick auf die Trends 2023/2024 zu werfen. Besonders die Gastronomie- und Hotellerie-Branche muss sich mit modernen Konzepten auf geänderte Gästeansprüche, Kostensteigerungen und den Personalmangel einstellen. Pierre Nierhaus, einer der bekanntesten Change-Experten für die Hospitality-Branche, weiß, welche großen Trends die Gastronomie und Hotellerie in den nächsten zwei Jahren bestimmen werden. Wir stellen Ihnen in unserem ersten Teil des Reports acht von fünfzehn Trends vor.
1. Food – Essen macht SINN
Generation Z: Mit Essen die Welt retten.
Nachhaltigkeit in allen Bereichen war 2022 das große Thema. In 2023 wird sich dieser Trend weiter verstärken und in der Breite sowie Professionalität zunehmen. Bei Food bildet er die Klammer für verschiedene Entwicklungen. Im Mittelpunkt stehen Tierwohl, Plant Based und Zero Waste. Immer mehr Menschen entscheiden sich für bewusstes Essen. Für die Generation Z gehört es zur Selbstdefinition: Mit (richtigem) Essen die Welt verbessern. Pflanzenbasierte Küche ist zuerst im Handel und jetzt auch in der Gastronomie angekommen (Erfolgsidee: Veganuary).
Der Anteil der Vegetarierinnen und Vegetarier in Deutschland stieg in nur zwei Jahren von 5 % auf 10 %, vegan ernähren sich 2 % der Bevölkerung. Auf Fleisch nicht verzichten möchten 45 %. Allerdings sind 6 % bereit, mehr für ökologisch zertifiziertes Fleisch zu bezahlen. Zukunftsthemen hierzulande sind Cultivated Meat und Insekten. Unternehmen mit ganzheitlich nachhaltiger Philosophie sind in den Markt eingetreten wie das Food-Tech-Unternehmen ORGANIC. Von der eigenen Farm, eigenen Eateries (10 Betriebe in Planung) bis zu Business und School Nutrition wird die volle Wertschöpfungskette bedient. Digitale Technik wird
u.a. für Vertical Farming genutzt.
2. Getränke – Zuckerfrei mit wenig Alkohol
Neue Weinfans durch die Pandemie – gut für die Gastronomie.
Im Cocktailbereich hält der Trend zu den Low Alkohol-Getränken weiter an. Apéro gewinnt weiter an Beliebtheit. Gin bleibt die Lieblingsspirituose und wird fruchtig, auch in der Kombination mit Beeren. Generell werden Getränke, auch Cocktails, mit wenig oder Zero Zucker bevorzugt. Auch die beliebten Schorlen wünschen sich die Gäste am liebsten zuckerfrei. Bier kehrt zurück und erreicht leichte Zuwächse. Wein hat durch die Pandemie viele neue Fans gewonnen und wird auch in der Gastronomie stärker. Smoothies und Säfte bleiben – selbstgemacht, frisch, natürlich, ohne Konservierungsstoffe.
Bei den Heißgetränken wächst der Anteil von Teespezialitäten kontinuierlich ebenso wie die Nachfrage nach Premiumtees. Im Kaffeesegment ist Cappuccino wieder da und hat Latte Macchiato, Lieblingsgetränk im deutschsprachigen Raum, auf Platz 2 verdrängt. Espresso auf Platz 3 wird in unserer Region immer beliebter, gerne ergänzt mit Hafer- und Sojamilch & Co. Aufregend neu und nachhaltig: Das Startup ATOMO hat einen bohnenfreien Nuklearkaffee basierend auf Dattelkernen auf den Markt gebracht.
In der Bar- und Clubszene setzt sich der Trend zur reduzierten Auswahl mit Signature Drinks fort. Riesige Barkarten sind out. Dafür kommt als Ergänzung originelles Bar Food auf hohem Niveau. Die Clubs werden professioneller, exklusiver (Disco Empire, St. Martin, mit Erlebnis- und Serviceangeboten) und größer (Alando, Osnabrück, für bis zu 8.000 Gästen).
3. Restaurants – Sterne, Sternschnuppen und Systemer
Positiver Corona Effekt: Viele Gemeinden haben deutlich mehrt Außengastronomie genehmigt.
Führende Unternehmen in der Premium Hospitality werden zu globalen Playern. Mit der Übernahme der Hakkasan Group im April 2021 verfügt die US amerikanische TAO Hospitality Group jetzt über 70 Großbetrieben in 20 Destinationen auf 5 Kontinenten. Von London in die Welt gehen britische Unternehmen mit ihren Marken wie Zuma oder jetzt die Caprice Holding, die mit Sexy Fish in Miami den US Markt betritt. In Europa mischt die Big Mama Group die Szene mit ihren opulenten Casual-Konzepten auf. In 9 Städten ist das französische Unternehmen vertreten, darunter London mit drei Betrieben (Typ: “Spectacular Italian”), jetzt neu in Berlin (Coccodrillo) und München (Giorgia). In Deutschland ist die Systemgastronomie-Kette L’Osteria die erfolgreichste Restaurantgruppe mit europaweiter Expansion.
Hierzulande liegt bei den Konzepten die mediterrane Küche nach wie vor vorn. Levantinisch, speziell die Küche Israels, wird breitentauglich. Zur Pizza gesellt sich Pinsa. Asien bleibt. Burger als Produkt sind Klassiker, aber der Markt für reine Burgerkonzepte ist gesättigt. Deutsche Küche bleibt beliebt mit vertrauten Gerichten, häufig modern interpretiert. Küchenstile aus aller Welt sind nach wie der Kurztrip für wenige Stunden.
In der Sternegastronomie setzt sich der Trend zu entspanntem Dining fort. Der erste Stern wird lockerer, das Essen und die Idee entscheiden. Unter den Restaurantführern gilt der Michelin immer noch als der “seriöseste”, weil er im Dschungel der (selbsternannten) Listen kuratiert. Entertainment spielt eine immer größere Rolle.
Sharing steigert das Essen als gemeinsames Erlebnis. Die Portionen werden kleiner. Neue Startups und neue Formate bringen Schwung wie Neobiota (Köln) als Frühstücksrestaurants mit 3-Gänge-Frühstück morgens und Sternerestaurant abends.
4. Wirtschaftlichkeit – PROFIT FIRST: Einfachheit schützt vor der nächsten Krise
Gute Unternehmenskultur: Basis für Wirtschaftlichkeit.
Corona ist vorüber, aber von New Normal keine Spur. Inflation, knappe Ressourcen (Energiekrise), die Rückzahlung von Corona-bedingten Krediten plus die teilweise spürbare Zurückhaltung der Gäste bringen viele Betriebe erneut in eine Schieflage. Wieder einmal bewahrheitet sich die Erkenntnis: wer keine Liquidität hat stirbt. Wer jetzt nicht auf Reserven zurückgreifen und die Preissteigerungen an die Gäste weitergeben kann, wird massive Probleme haben.
5 Dinge soll die Gastronomin oder der Gastronom tun: Alle Prozesse überdenken, vereinfachen, digitalisieren und das bei bester Unternehmenskultur und klarer Positionierung im Markt – auch um Mitarbeitende zu finden und zu halten. Denn ohne glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Gäste gibt es keine Wirtschaftlichkeit.
Die Umstellung auf vegetarische oder vegane Gerichte ist nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich: Pflanzenbasierte Gerichte sind beim Wareneinsatz 10 % bis 15 % günstiger. Einsparung bringt die Technik der nächsten Generation (u.a. durch Energiegewinnung aus Speiseresten). Fokusqualifizierte Mitarbeiter wie in den USA sind eine wichtige Ergänzung im schwachen Arbeitsmarkt und werden von Fachkräften eingearbeitet.
5. Distribution – EAT EVERYWHERE
Verpackung praktisch: eine Hand frei fürs Handy.
Essen ist multi-optional. Nahezu überall bieten sich Möglichkeiten lecker zu essen. Marktteilnehmende finden sich zusammen und bilden Kooperationen: Sushi- & Asia-Foodspezialist EAT HAPPY ist mit über 1.000 Filialen im LEH vertreten. Dean & David kooperiert mit Interspar Österreich und ebenso mit der Lufthansa auf innereuropäischen Flügen von über 60 Minuten. TV-Koch Steffen Henssler kooperiert mit seinem kalifornischen Sushi-Konzept GO By Steffen Henssler mit Luxus-Hotels und bietet Liefer- & Abholservice an.
Neben Lieferservice ist To-Go zum festen Standbein vieler Restaurants geworden. Eine Variante ist der Curbside Service. Vorteil von Pick-Up: keine kostenpflichtigen Lieferservices. Immer erwartet wird gute Qualität und heißes Essen. Die Verpackung muss attraktiv und praktisch sein. Nur wenn alles stimmt, sind Preise in der Höhe von Restaurantpreisen gerechtfertigt. Lieferservice funktioniert auch im Premiumsegment wie das Londoner Hakkasan Restaurant mit seinem Orchid Menü für 2 Personen zum Preis von 102 £ beweist.
Mehrweglösungen werden Pflicht. Anbieter wie Vytal und Recup bauen große Kreislaufsysteme auf. Wichtig ist, über Verordnungen gut informiert zu sein. In Metropolen wie London bereits etabliert, sind Ghostkitchen wie Chefly in Berlin oder Kitchen Republic in Bern in den Markt eingetreten.
6. Gastfreundschaft – PEOPLE FIRST: Basis für die Zukunft
“Staff first, Customer second, Shareholder last.” Richard Branson
Anstatt in Umsatz-Optionen durch Gastlichkeit zu denken, steht überall Kostendenken (Mitarbeitende) an erster Stelle. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten und wird sich voraussichtlich weiter verschärfen. Die individuelle Gastronomie darf jedoch nicht ihr wichtigstes USP verlieren: Menschlichkeit und Herzlichkeit. Beides ist durch QR-Codes nicht zu ersetzen.
Basis dieser Wertschätzung bilden Unternehmenskultur und Wirtschaftlichkeit: People & Profit first. Doch die Abwanderung von Fach- und Aushilfskräften bedroht die Branche. Auch dies ist ein weltweites Phänomen, denn überall kämpfen Hotellerie und Gastronomie mit akutem Mitarbeitermangel. Gegenmittel: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Botschafter nutzen. Zufriedene — oder sogar begeisterte Mitarbeitende — bleiben und sorgen für neue Kolleginnen und Kollegen.
Neue Wege gehen wie die Ruby Hotels mit ihrer Recruiting-Kampagne „Ready for a new Tattoo“. Andere Hotelgruppen kommen dem Trend zum modernen Nomadenleben entgegen und bieten ihren Mitarbeitenden die Chance, in immer anderen Hotels zu arbeiten und zu wohnen. In Zukunft ist ein Mindset gefordert, das Mitarbeitende immer an die erste Stelle stellt. Funktioniert in der Praxis durch Wertschätzung, gute Arbeitsbedingungen und eine motivierende Zukunftsperspektive. Es gibt immer noch Menschen im Arbeitsmarkt und langsam kehren Mitarbeitende in die Branche zurück, aber der Kuchen ist kleiner geworden
7. Digitalisierung – Roboter sind Co-Boter
Mensch und Maschine in sinnvoller Kooperation.
Ein Trend zu Robotik zeichnet sich ab. Zukünftig wird es mehr Roboter geben in immer mehr Einsatzbereichen geben (Abräumunterstützung, Foodrunner oder Bodenreinigung in der Gastronomie, Straßenroboter in LA Businessviertel), aber nicht weniger Menschen.
Die Hospitality holt bei der Digitalisierung auf. Zukunftschancen haben die Unternehmen, die konsequent weiter planvoll digitalisieren. Unentbehrlich sind digitale Zahlmöglichkeiten, Kassen- und Reservierungssysteme. Insellösungen sind nicht mehr gefragt. Der Aufbau von Systemverbünden durch Schnittstellen ist die Voraussetzung für die datenbasierte Betriebssteuerung und optimierte
Prozesse. QR-Codes entlang der Customer Journey oder zur Personalsuche sind einfache, gut funktionierende und beliebte Tools.
Voice und Assistenten (Chatbot) sind weiter auf dem Siegeszug. Das Metaverse, die Verbindung aus physischem Leben mit virtuellen Elementen der Online-Welt, hält Einzug. Die NFT Skybar im NHOW Frankfurt zeigt, wie die digitale Welt in die Gastronomie übertragen werden kann.
8. Demographischer Wandel – Silberlocken willkommen
Babyboomerinnen und Babyboomer bringen Umsatz und Mitarbeitende.
Deutschland altert. 2035 wird jede 4. Person im Seniorenalter sein. Dann wird es 7 Millionen Arbeitnehmende weniger geben, das entspricht einem Anteil von 1/7 des Arbeitsmarktes. Zuwanderung ist notwendig. 300.00 bis 400.000 Zuwanderer pro Jahr sind eine realistische Größe, um diese Lücke zu schließen.
Den demographischen Wandel bekommt auch die Gastronomie zu spüren: Der Anteil älterer Gäste und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird steigen. Die neuen Gäste sind ältere Gäste. Obwohl älter, fühlen sie sich aber nicht wie Seniorinnen und Senioren. Sie wollen gerne von Gleichaltrigen bedient (und verstanden) werden. Sie bevorzugen angepasste Gerichte (leichter, kleinere Portionen), aber der Seniorenteller ist ein No-Go. Auch die Mitarbeiterstruktur ändert sich.
Der neue Markt an älteren Menschen bietet Chancen. Deshalb bei der Mitarbeitersuche auch an die Generation denken, die bereits in Rente ist wie die Babyboomer. Sie haben mehr Freizeit als die aktuell Berufstätigen und würden gerne wieder einer Arbeit nachgehen, weil sie entweder Freude daran haben oder weil sie müssen. Denn ein niedriger Lebensstandard treibt die Zahl der Arbeitnehmenden im Seniorenalter in die Höhe (überwiegend Teilzeit).
Weitere spannende Fakten über Pierre Nierhaus und seinen Trendreport 2023 / 2024 findet ihr auf https://nierhaus.com/