„Mit Klischees aufräumen und Karrierechancen aufzeigen.“ Wir haben mit
Sterneköchin Iris Bettinger vom Hotel-Restaurant Reuter in Rheda-
Wiedenbrück über ein wichtiges Thema gesprochen, das die Branche bewegt.
Wieso gibt es Ihrer Meinung nach immer noch deutlich weniger Köchinnen als Köche in den Profiküchen? Und wie entwickelt sich die Frauenquote am Herd?
Mittlerweile gibt es tatsächlich immer mehr Frauen in den Küchen, doch die stehen meistens in der zweiten Reihe und sind nicht so sichtbar. Aber es macht sich eine Entwicklung bemerkbar. Früher, in meiner Ausbildungszeit, kamen auf 30 Männer etwa 3 Frauen. Das hat sich geändert. Viele Betriebe merken auch, dass das Arbeitsklima besser ist in gemischten Teams. Meine Mutter hatte damals übrigens nur Frauen in der Küche und das war oft auch anstrengend. Genauso ist es, wenn das Team nur aus Männern besteht. Als ich nach meiner Ausbildung in Frankreich im 5-Sterne-Hotel Savoy als Jungköchin anfing, war ich dort in der Küche die erste Frau – und die Männer fanden es gut: Der ganze Umgang wurde höflicher.
Ein Grund, warum es auch heute noch weniger Frauen in der Küche gibt, ist sicher das immer noch vorherrschende Image, dass in den Küchen ein ruppiger Umgang und ein rauer Ton Normalität sind. Da hat sich allerdings viel getan. Auch wenn es leider nach wie vor die schwarzen Schafe gibt. Ich bin seit 16 Jahren selbstständig und wusste immer, dass ich so nie mit Menschen umgehen will und nie Hierarchien so ausnutzen werde, wie ich es teilweise noch während meiner Ausbildung erlebt habe. Ich glaube, dies ist mit ein Grund, warum meine Leute in der Regel sehr lange bei uns bleiben. Und das ist heute bekanntlich viel wert. Früher war es normal, dass man nach der Ausbildung ging und in anderen Häusern anheuerte. Heute buhlt jeder Chef um seine Azubis und freut sich, wenn sie bleiben. Die wahrscheinlich größte Hürde aber ist die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Köchin in der Profiküche. Schon als Schwangere wird es schnell zu anstrengend im Küchenalltag. Und wenn dann ein Kind da ist, werden die abendlichen Arbeitszeiten oft zum Problem. Wir haben deshalb tolle Köchinnen verloren, die jetzt das Mittagessen in der Kita machen oder sich nur noch ab und zu für kleine Caterings buchen lassen.
Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit dieser Beruf attraktiver für Frauen wird?
Damit es nicht so häufig zu Ausbildungsabbrüchen aufgrund von falschen Vorstellungen kommt, ist es wichtig, die Jobs in unserer Branche und in diesem Fall den Beruf der Köchin genauer vorzustellen und zu erklären. Wie sieht der Arbeitsalltag aus? 80 Prozent sind Vorbereitungsarbeiten, bevor es zum i-Tüpfelchen, dem Plating, kommt. Auf der anderen Seite können so auch Klischees ausgeräumt werden, wie beispielsweise, dass die Ausbildungszeit vor allem aus Kartoffelschälen besteht. Wir müssen mehr die Werbetrommel für den Köchinnen-Beruf rühren. Das kann auch über Mentorinnen und weibliche Testimonials geschehen. Und wir sollten auch Bewerberinnen, für die im eigenen Betrieb zurzeit keine Vakanzen sind, helfen, woanders etwas zu finden. Wir sind in der Gastronomie-Branche so gut vernetzt, dass wir uns auch gegenseitig unterstützen müssen, Personal zu finden und interessierten Frauen einen guten Arbeitsplatz zu vermitteln. Außerdem sollten wir Frauen dazu motivieren, ruhig mal eine bekannte Köchin anzuschreiben und zu fragen, ob diese Empfehlungen oder Connections für sie hat. Ich jedenfalls freue mich über jede Frau, die sich für den Köcheberuf interessiert.
Wichtig fände ich auch mehr Initiativen rund um Ausbildung und Karriere. Ich selbst bin Mitglied bei den Jeunes Restaurateurs. Die Vereinigung hat eine eigene Berufsschulklasse gegründet und veranstaltet Azubi-Tage. Bei solchen Events wird u. a. kommuniziert, dass ein Azubi heute nicht mehr nur das letzte Glied in der Kette ist, sondern wertgeschätzt wird. Ebenso beispielhaft agiert der FHG (Förderer der in der Hotellerie und Gastronomie Beschäftigten und Auszubildenden). Dieser hat ein Ausbildungsprogramm entwickelt, das auf Abiturienten abzielt, die Karriere in der Hotellerie- und Gastronomiebranche machen möchten. Auch mir hat das damals sehr geholfen. Eine Besonderheit dabei ist, dass Köche und Restaurantfachkräfte in einer Klasse sitzen und die Branche und verschiedene Berufsbilder viel besser kennen lernen. Sie erhalten einen Blick auf das große Ganze und bekommen Karrierewege aufgezeigt. Wir müssen außerdem Frauen motivieren, die den Köchinnenberuf erstmal gar nicht auf dem Schirm haben. Wenn diese es mal in einer Restaurantküche probieren, sind sie nämlich oft positiv überrascht. Ich hatte vor einiger Zeit eine junge Abiturientin, die bei uns ein Praktikum absolviert hat. In dieser Zeit ließ sie sich so für den Beruf begeistern, dass sie heute bei uns eine Ausbildung macht.
Was waren Ihre persönlichen Herausforderungen, denen Sie sich im Laufe Ihrer bisherigen Karriere stellen mussten – und wie haben Sie diese gemeistert?
Am Anfang war ich sehr unbedarft. Ich habe mir nicht viele Gedanken gemacht und quasi blind einen Ausbildungsvertrag unterschrieben, ohne den Küchenchef jemals gesehen zu haben. Als ich am 1. August 1995 meine Ausbildung in Freiburg begonnen habe, rief ich abends ziemlich verzweifelt zuhause an mit den Worten: „Wo bin ich hier nur gelandet?!“ Der Chef kannte noch nicht mal meinen Namen und ich war nur „das blasse Mädchen aus NRW“, das den Dialekt nicht sprach. Frauensolidarität: Fehlanzeige. Unter meinen Kolleginnen war Ellenbogenmentalität angesagt und es hieß nur: Du hast doch Abi. Warum studierst du nicht? Meine größte Herausforderung war es, jeden Tag aufzustehen und wieder zur Arbeit zu gehen. Die drei Jahre durchzuhalten. Anfang des zweiten Lehrjahres dann die Wende, als jemand zu mir sagte: „Du hast Talent und Geschmack.“ Das war das größte Kompliment für mich und der Lohn für das Durchhalten. Eigentlich wollte ich mit der Ausbildung nur Wartesemester überbrücken und danach ein Studium beginnen. Aber trotz der harten Schule habe ich in dieser Zeit so sehr Feuer für den Kochberuf gefangen, dass ich dabeigeblieben bin. Nicht so schnell aufzugeben, Biss zu haben, zahlt sich oft aus, wie man an meinem Weg sehen kann.
Nach meiner Ausbildung standen mir als Jungköchin alle Türen offen, denn ich kam aus einem Sternerestaurant und die meisten Betriebe wollten gern Frauen im Team haben. Diese Chancen habe ich genutzt. Und ich habe immer darauf geachtet, was genau ich machen möchte. Als ich im Mandarin Oriental anfing, war dort klar: Sie ist eine Frau. Sie geht in die Patisserie. Ich aber wollte lieber auf einen anderen Posten. Da muss man sich manchmal einfach durchsetzen. Das Frausein kann dabei übrigens auch Vorteile haben. Allerdings bin ich kein Fan davon, zu sehr das Weibchen herauszukehren mit Augenklimpern und übertriebenem „kannst du mir mal helfen?“-Gehabe. Oft geht das irgendwann nach hinten los. Schließlich wollen wir Frauen gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit unseren männlichen Kollegen wahrgenommen werden. Als Frau muss man genauso professionell sein und sollte sich auch nicht zieren, die gleichen Aufgaben wie die männlichen Teammitglieder zu erledigen. Über allem steht immer die Frage: Wie nutzt Frau ihre Rolle?
Rühren Sie doch mal die Werbetrommel: Was lieben Sie an Ihrem Beruf?
Wo soll ich anfangen und wieviel Zeit haben wir? Zuerst mal: Wir machen jeden Tag Menschen glücklich mit unserem Essen. Leute kommen hierher, um eine gute Zeit zu verbringen und nehmen tolle Erinnerungen mit. Das ist ein sehr erfüllendes Gefühl. Und unser Beruf bietet eine enorme Vielfalt. Zum Beispiel beim Arbeiten mit den Jahreszeiten und der Möglichkeit, immer neue Produkte zu entdecken und einzusetzen. Und nicht zuletzt liebe ich den Teamspirit. Den familiären Vibe und diese eingeschworene Gemeinschaft, die sich oft entwickelt in der Gastro. Außerdem hat man die Möglichkeit, die Welt zu sehen und viel rumzukommen. Es gibt so traumhafte Locations, an denen man arbeiten kann und auch kulinarisch steht einem die Welt offen. Man kann in diesem Beruf so viel erleben und so viele Menschen kennen lernen. Und es ergeben sich sehr schnell Karrierechancen. Talente werden in unserer Branche gefördert. Manche sind mit 26 schon mit Auszeichnungen dekoriert oder zum Beispiel Küchenchef auf einem Kreuzfahrtschiff. Ich bin immer wieder fasziniert, was junge Leute aus der Branche für tolle kulinarische Kreationen auf Social Media posten, und das oft schon im zweiten Lehrjahr – und dafür natürlich viel Anerkennung und positives Feedback bekommen. In Bezug auf eine Karriere als Köchin sollte man außerdem eins nicht vergessen: Man ist dann eine von wenigen und bekommt deshalb in der Regel deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit als die meisten Männer. Das sieht man am Beispiel der Sternegastronomie: Es gibt knapp 390 Sternerestaurants in Deutschland, in denen vielleicht gerade mal 20 Frauen ganz vorne mit dabei sind.
Was empfehlen Sie Frauen, die sich für den Beruf der Köchin interessieren? Wo können diese sich am besten informieren, wie kann man sich vorbereiten? Welche Fehler sollte man im Vorfeld nicht machen?
Ich rate Bewerberinnen, erstmal ein Praktikum zu machen und das Arbeitsumfeld live zu erleben. Sich im Vorfeld so viel wie möglich zu informieren, ist auf jeden Fall wichtig und hilfreich. Wer sich für den Köchinnenberuf interessiert, sollte erstmal in seiner Umgebung schauen, was es dort an Möglichkeiten gibt und wo man eine Ausbildung machen könnte. Und sich dann auch wirklich näher über diese Adressen informieren. Wenn ich in Bewerbungsgesprächen nachfrage, warum sich jemand bei uns beworben hat, wird oft klar, dass es mehr an Äußerlichkeiten lag, wie dem Stern oder weil unser Haus so schön ist. Aber eine tiefere Motivation und die Beschäftigung mit unserem Betrieb fehlen häufig. Um sich zu informieren, empfehle ich interessierten Frauen, einmal auf der Website der JRE oder vom FHG zu schauen. So gewinnt man bereits einen näheren Einblick in die Branche und wird außerdem auf Häuser aufmerksam, bei denen man sich einmal vorstellen und für ein Praktikum bewerben könnte. Man sollte nicht den Fehler machen, sich nur aufgrund einer schönen Fassade für den erstbesten Betrieb zu entscheiden. Und wer bei seinem Praktikum merkt, dass es doch der falsche Betrieb war, sollte ruhig noch ein zweites Praktikum in einem anderen Haus dranhängen. Dann kann die Sache nämlich ganz anders aussehen.
Gibt es Küchen in der Hospitality, die Ihrer Meinung nach schon heute interessanter für Frauen sind?
Große Hotels haben sicher mehr Spielraum, was Posten und Arbeitszeiten angeht. Sie können oft flexiblere Dienstzeiten einrichten oder ihre Mitarbeiterinnen in andere Abteilungen versetzen, zum Beispiel in den Frühstücksbereich. Generell haben diejenigen Häuser Vorteile, in denen die Arbeitsbedingungen u. a. auf die Bedürfnisse von Müttern zugeschnitten werden können, z. B., weil es dort nachmittags Kaffee-und-Kuchen-Geschäft gibt. In großen Ketten hat man oft sogar eine Kinderbetreuung. Außerdem reden wir hier von Franchise-Konzepten, wo keine Abendschicht notwendig ist. In kleinen Betrieben ist die Situation schwieriger. Da müssten dann einfach mal mehr Väter zuhause bleiben und es sollte mehr Angebote für die Abendbetreuung von Kindern geben. Wie die sogenannten Overnight-Modelle für Kinder von Eltern im Schichtbetrieb. Auch wir versuchen hier im Kleinen Lösungen zu finden, indem wir es Mitarbeiterinnen ermöglichen, nur im Frühdienst z. B. als ¾-Stelle zu arbeiten.
Was können Arbeitgeber:innen machen, um mehr Aufmerksamkeit und Interesse bei Bewerberinnen zu wecken?
Wie schon angesprochen, können natürlich flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle helfen, die individueller auf die Bedürfnisse von Mitarbeiterinnen zugeschnitten sind. Es geht aber auch darum, mit gängigen Vorurteilen aufzuräumen. So sollte zum Beispiel klargemacht werden, dass der Köcheberuf heute körperlich weniger anstrengend ist als früher. Dank der modernen Technik gibt es schon viel Entlastung. Nur ein Beispiel von vielen sind die Kipp-Bratpfannen, die sich elektrisch hoch- und runterfahren lassen. Fische und große Fleischstücke werden zerlegt angeboten. Durch Induktionsherde ist auch das Klima in der Küche besser geworden. Vieles ist heute bequemer als noch vor 30 Jahren, auch durch die Digitalisierung. Und es gilt vor allem, die vielen Benefits und eben auch Karrierechancen stärker herauszustellen. Zum Beispiel mit „Influencerinnen“ aus der Branche systematisch und kontinuierlich die Werbetrommel für diesen schönen Beruf zu rühren. Übrigens können selbst vermeintliche Nachteile wie die Arbeitszeiten zum Vorteil gemacht werden. Es kommt immer auf die Perspektive an. Meine Mitarbeitenden fangen erst um 14 Uhr an und können dann vormittags ihre Einkäufe erledigen oder ins Fitnessstudio gehen, wenn dort kaum etwas los ist.